Silke Helfrich – Fair, frei und lebendig
Das war und bleibt Silke Helfrichs Leben.
Nun trauern wir um sie, die langjährige Mitarbeiterin, die Kollegin, die Freundin.
Wir sind fassungslos, dass Silke am 10. November bei einer Wanderung in den Liechtensteiner Alpen tödlich verunglückt ist. Zum am Nachmittag geplanten Vortrag kam sie nicht mehr zurück. Sie wurde mitten aus dem Leben gerissen.
In der Commonsforschung und der internationalen Commons-Gemeinschaft hinterlässt sie eine riesige Lücke. Dort hatte sie sich seit 2007 breite Anerkennung erarbeitet, vielfältige Freunde gefunden und mit ihnen u.a. das Commons-Institut gegründet, durch die Organisation von Sommerschulen viele junge Menschen gefördert. Sie alle werden sie ebenso vermissen wie wir. Mit einer ihr ganz eigenen intellektuellen Strahlkraft und mit widersprüchlicher Streitbarkeit hat Silke bleibende Spuren hinterlassen.
Wir erinnern uns an Silke Helfrich als eine langjährige Kollegin, bevor sie ihren Weg in die Selbständigkeit als Forscherin, Autorin zahlreicher Bücher, als Bloggerin und Vortragsreisende ging: Silke war mit der Stiftung seit ihrer Neugründung Mitte der neunziger Jahre eng verbunden. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im thüringischen Teil der Rhön, studierte sie Romanistik, Sozialwissenschaften und Pädagogik in Leipzig. Von 1996-1998 war sie Geschäftsführerin der Landesstiftung der Heinrich-Böll-Stiftung in Thüringen. Jung, mit Ideen, Durchsetzungskraft und Beharrlichkeit hat sie die Landesstiftung Thüringen erfolgreich aufgebaut.
Von dort zog es Silke dann in die Welt. Ab 1999 übernahm sie die Leitung des Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung für Zentralamerika in San Salvador. 2004 wechselte sie als Gründungsdirektorin für das Stiftungsbüro Mexiko und Karibik nach Mexiko City.
Egal wo und mit wem, Silke arbeitete immer mit voller Leidenschaft, mit hoher Empfindsamkeit, ihren Mitstreitenden zugewandt und unter vollem Einsatz ihrer Kräfte. Gerechtigkeit, Menschen- und Frauenrechte, Fairness und Freiheit waren ihr Leitmotiv. Mit ihrer Haltung, mit ihrer kreativen Offenheit und ihrer Leidenschaftlichkeit ist sie Mutmacherin und Vorbild gewesen.
Silke hat bei unseren Projektpartner*innen und bei Kolleg*innen tiefe Spuren hinterlassen und Hochachtung genossen. In Mexiko gab sie weit über ihre regionale Zuständigkeit hinaus Impulse für die Gesamtstiftung. So übernahm sie Verantwortung im Leitungsteam des Ecofair Trade Dialogue, eines Dialogprojekts der Stiftung zu Landwirtschaft und Handel in Kooperation mit dem Wuppertal Institut.
Schon während ihrer Zeit in Mexiko hatte sie ihre Reise zur Wiederentdeckung der Commons begonnen. Es war auch dort, wo sie 2006 David Bollier, ihrem späteren Kollegen und Mitgründer der Commons Strategies Group (CSG) zum ersten Mal begegnete. Bollier war zu einer vom Büro Mexiko organisierten Konferenz gekommen, in der es um die strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen traditionellen Gemeingütern, z.B. indigener Land- und Ressourcennutzung, und dem Kampf gegen die Einhegung der Commons im Zeitalter intellektueller Eigentumsrechte (freies Saatgut, Creative Commons, Open Source Software, Wikipedia) ging. (Im Ergebnis entstand „Genes, bytes y emisiones: Bienes comunes y ciudadanía, 2008“).
Der Gemeingüter Report: Wohlstand durch Teilen wurde ihre erste große Publikation nach ihrer Rückkehr nach Deutschland.
Es folgten politische Commons-Salons die über mehrere Jahre vor allem den bundesdeutschen Diskurs belebten.
Auf einem von der Stiftung organisierten Treffen in Crottorf fanden Bollier und Helfrich 2009 mit Michel Bauwens schließlich den dritten im Bunde der Commons Strategies Group. Initiiert von der CSG und in Zusammenarbeit mit einem internationalen Netzwerk von Commoners und der Stiftung wurden zwei internationale Konferenzen in unserem Stiftungshaus organisiert: 2010 die International Commons Conference und 2013 die Economics and the Commons Conference. In deren Ergebnis enstanden jeweils zwei Jahre später die ersten beiden Commons-Anthologien mit David Bollier.
Mehrere “Deep Dives” schufen als Reflexionsraum dann die Grundlage für ihr letztes großes Werk, das sie 2019 gemeinsam mit David Bollier schrieb: Frei, fair und lebendig: Die Macht der Commons. Das Buch ist bereits in Englisch und Spanisch erschienen. Eine griechische und französische Fassung sind in Arbeit.
Die Wirklichkeit aus einer neuen Perspektive betrachten, alte Dichotomien überwinden – wie die von Markt und Staat -, Eigentums- und Nutzungsrechte neu denken, Wertschöpfung und Wertschätzung anders austarieren und nach Commons-Praktiken für ein gelingendes Miteinander Hier und Heute suchen, das war Silkes bahnbrechende Forschungsagenda. Silke wollte vor allem sichtbar machen, was jetzt ist und wo neue soziale Praxis stattfindet – überall auf der Welt. Die Solawi Heilbronn oder der Verein Pilzfreunde war ihr genauso wichtig wie die Commons Strategies Group. „Ich will vor Ort sein, eintauchen, mir Zeit nehmen“ schrieb sie uns vor Kurzem.
Silke war mit ihren Mitstreiter*innen eine Pionierin. Mit großer Leidenschaft war sie Intellektuelle und Aktivistin zugleich. Ihr wunderbares Werk wird mit und bei uns bleiben. Wir werden es bewahren und fördern.
Unser tiefes Mitgefühl gilt Paul und Clara, Jacques, Gina und Nick, Kai und ihrer Familie.
Barbara Unmüßig, Heike Löschmann, Jörg Haas
Antonie Nord, Joanna Barelkowska, Ingrid Spiller, Michael Álvarez Kalverkamp, Burkhardt Kolbmüller, Dr. Matias Mieth, Solveig Negelen