maiLab: An der Spieltheorie des Lebens GESCHEITERT

An manchen Tagen sinniere ich darüber, mir einen Irokesen zu frisierenoder die Haare blau zu färben, mein Sprechtempo zu verdoppeln oder nur noch in Zebrastreifenoptik aufzutreten. Als ich mir gestern die Klickzahlen des Mailab Videos zur so genannten „Tragik* des Gemeinguts“ vergegenwärtigt habe, war so ein Tag.

Im Video erzählt der neue Star am Himmel des Wissenschaftsjournalismus‘, Mai Thi Nguyen-Kim, von der „Spieltheorie des Lebens“. Selbst jenen, die das

Coverbild_16zu9Video nicht abspielen, drängt sich die Hauptaussage in maiLab-typischen Großlettern auf: GEMEINGÜTER GESCHEITERT. Schon vor Anpfiff steht es also 1:0 für Garrett Hardin.

Nach dem Anpfiff werden die Zuhörerinnen und Zuhörer zunächst in die Welt der Alltagsbeispiele geholt.

Öffentliche Toiletten sind immer, immer ekelhaft.

Bingo. Aufmerksamkeit. Dreckige Klos! Die ursympatische Mai vermutet mit Verve ein „physikalisches Gesetz“ dahinter. Ab jetzt hoffe ich, dass die Leute länger als 7 Minuten durchhalten. Andernfalls prägt sich eine einzige stark vereinfachte Botschaft ein: Das Scheitern des Gemeinguts ist NATURGESETZ!

Im youtube-Sprech des maiLab:

Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Tragödie des Gemeinguts ’ne ziemlich sichere Kiste.

Wir befinden uns kurz nach der Hälfte der Spielzeit. 2:0 für Hardin. Mai braucht für ihre Spielzüge weder Iro oder Zebrastreifenoptik. Sie setzt den Text verbal und gestisch eindrucksvoll in Szene.

Niemand schmeißt zu Hause Müll in den Garten … und trotzdem ist praktisch unvermeidbar, dass sich öffentlicheGelände nach einem Festival in große Müllhalden verwandeln. (eigene Herv.)

Vermüllte Landschaften liefern die geeigneten Hintergrundbilder. Natürlich sind das keine Aufnahmen von „Gemeingütern“ (Commons, Allmenden), bei denen das Gemeinsame im Mittelpunkt steht, sondern von irgend etwas Öffentlichem.

Spätestens jetzt ist klar: Hier werden nicht nur Tore geschossen, hier kommt auch die Hardinsche Strategie zum Zug. Ob bewusst oder unbewusst? Fakt ist, dass eine so wirkmächtige wie ideologische Metapheraktiviert wird, die seit zweieinhalbtausend Jahren in unterschiedlichem Gewand durch die Kulturgeschichte der Menschheit wabert; eben jene der Tragik der Allmende. Die  funktioniert pikanterweise nur dann, wenn Einiges durcheinander geworfen wird.

Wer genau hinhört, wird das rasch merken. Das maiLab-Video beschäftigt sich nicht mit Gemeingütern. Die Rede ist vom Öffentlichen! Oder von Situationen, in denen die Dinge nicht geregelt sind – wie ein frei zugängliches Schlaraffenland, in dem sich alle nach Gutdünken bedienen ohne miteinander kommunizieren zu müssen. So manch spieltheoretischer Laborversuch wird lebensfern konzipiert – darunter das Öffentliche Güter Spiel, mit dem auch hier die Beweiskette beginnt.

Längst steht es 3:0, 4:0, 5:0 für Hardin.

Und ich begreife, dass wir auch alle gemeinsam nicht gegen diese  grobschlächtigen Argumentationsschneissen ankommen, die hier in die Köpfe von Hunderttausenden geschlagen werden. Egal wie oft wir sagen, schreiben und nachweisen: Dort, wo es Commons-Gemeingut-Allmende gibt, wo Dinge gemeinschaftlich hergestellt, genutzt und bewirtschaftet werden, geht es nicht zu wie auf öffentlichen Toiletten und auch nicht wie im Schlaraffenland. Eher wie bei einem gemeinsames Picknick, für das alle Verantwortung übernehmen und zu dem alle Beteiligten beitragen (was nicht heißt, dass ich unbedingt die größten Leckerbissen abbekomme).

Menschen sind in der Lage, ihre eigenen Regeln zu bestimmen. Sie verabreden die gemeinsame und dauerhafte Nutzung. Es gibt kein Naturgesetz des Scheiterns des Gemeinguts! Das hat die bisher einzige weibliche Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom anhand unzähliger Beispiele überall auf der Welt empirisch bestätigt. In den Fußnoten zum Video wird sie immerhin erwähnt (im Duell Ostrom – Hardin, das ja real war, Briefwechsel und so, sitzt Ostrom quasi nur auf der Ersatzbank.)

Hardins Tragik ist eine »Tragik des Niemandslands«, also einer Sache, um die es keine Absprachen und Nutzungsregeln gibt wie es Commons gerade auszeichnet. Hardin selbst hat zugeben müssen, dass der Titel seines Essays mindestens irreführend war. Ein paar Jahre später schob er: „The Tragedy of the Unmanaged Commons“ hinterher. Aber das wiederum ist ein Oxymoron. Unmanaged Commons sind keine Commons. Punkt.

Wer weiß, dass Hardin Malthusianer war, wird Mühe haben, ihm nicht eine bewusste Diskreditierung der Commons und der common people, der einfachen Leute zu unterstellen. Tatsächlich vertritt er in seiner „Lifeboat Ethics“ (die das-Boot-Ist-Voll Metapher ist hier zu Hause), allen Ernstes die These, dass es ethisch sei, die „Dritte Welt“ den Bach runtergehen zu lassen, damit wenigstens der entwickelte Teil der Menschheit überlebe.

Es ist eine unselige, geistesgeschichtliche Tradition, die hier fortgeschrieben wird. Deswegen ist Vorsicht geboten oder zumindest ein schärferer analytischer Blick nötig, wenn man sich dieser Rhetorik bedient.

Übrigens scheitert auch die allfällige Beschreibung, dass „Gemeingut etwas ist, das uns allen gehört bzw. für uns alle da ist“, daran, dass sich konkretes Leben anders abspielt. Wir trinken nicht alle von derselben Quelle. Wir bearbeiten nicht alle dasselbe Land. Wir brauchen nicht alle dieselben Bücher. Alle versus niemand gehört zu eben jenen Dichotomien, die uns die Sinne für das Potential vernebeln, was jenseits dieser Dichotomien liegt. Es geht nicht bei jedem Gemeingut um alle. Auch deswegen sind öffentlich und gemein/gemeinsam nicht dasselbe. Nicht in der wirtschaftswissenschaftlichen Gütertheorie und nicht in der Wirklichkeit. Und deswegen ist die vermeintlich „unvermeidbare“ „Tragödie des Gemeinguts“ nicht Wissenschaft, sondern Ideologie. Ein Mantra, das immer und immer wieder wiederholt wird, weil es einer Idee folgt, statt die Realität abzubilden.

Stellen wir uns für einen kurzem Moment vor, wir nutzten eine andere Spielstrategien und einen anderen Fokus. Es würde nicht die „Wissenschaft des Scheiterns“ in den Mittelpunkt gestellt (dies immer und immer wieder zu tun, scheint mir die tatsächliche Tragik des Gemeinsamen,), sondern die unzähligen Praktiken des Gelingens. Stellen wir uns vor, wir hörten von der Comedy of the Commons, die uns vor dem Marktversagen rettet (Klimanotstand, war da was?). Das Publikum würde dann jedenfalls nicht aufgefordert (sic!), die jeweils

„persönlichen Tragödien des Gemeinguts in die Kommentare zu schreiben“ (Min. 12‘57).

Vielmehr würden wir alle gebeten zu beschreiben, wo Regeln selbstbestimmt gestaltet sind, Entscheidungsprozesse gemeinstimmig stattfinden und Konflikt beziehungswahrend bearbeitet werden. Und dann entstünde ein maiLab Video – ganze 15 Minuten lang.

5:1, 5:2, 5:3, 5:4 Ausgleich!

Das Coole an diese Thema sei, sagt Mai, wer sich einmal damit beschäftigt habe, sähe die „Tragödie des Gemeinguts“ überall. Ich sage etwas Ähnliches nur mit anderem Vorzeichen: Das Coole an den Commons ist, dass, wer die Commons-Brille einmal aufhat, sie nicht mehr absetzen kann und überall Wege sieht, diese sogenannte „Tragik“ zu verhindern.
Ich freue mich auf das nächste Video, liebe Mai.

* Tragödie ist das literarische Genre, Tragik die tragedy, von der hier die Rede ist.

 

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