Was brauchen wir wirklich für ein gutes Leben?
Mein Interviewbeitrag trägt den Titel dieses Blogposts. Das Gespräch dreht sich u.a. darum, wie wir in Frei, Fair und Lebendig versuchen, die Eigentumsfrage anzugehen: nicht Haben oder Sein ist die Frage, sondern es sind Formen des Habens zu entwickeln, „in denen sich das Sein entfalten kann.“ Der Schwerpunkt bietet v.a. einen Mix von Projektberichten und Interviews.
So gibt es ein Interview mit Holger Roloff von Hauptsache Commons: Die Phantasie der Leute anregen. Er findet:
„Commons bieten eine neue Logik des Umgangs mit der Natur einerseits sowie zwischen uns Menschen andererseits. Wem das klar wird, der spürt in sich eine sich freisetzende Begeisterung. Diese Energie wirkt ähnlich positiv ansteckend wie Lachen.
Find‘ ich auch und dieses Ansteckende zeigt sich immer sehr schön in den Commons-Sommerschulen :-). Überhaupt kommt das Motiv des „Ansteckens“ in den Interviews mehrfach vor. Auch bei Simon Sutterlütti, der betont, dass Eine bessere Gesellschaft erlernt werden muss:
[ich] erlebe häufig, dass für Menschen mit Commons-Erfahrungen die Utopie kein unerreichbarer Wunsch, sondern deutlicher reale Möglichkeit ist.
Sehr treffend fand ich Simons Bemerkungen zur Rolle des sogenannten „Preissignal“.
Der Kapitalismus kommuniziert mit uns […] nicht nur durch Preissignale, sondern auch durch all die symbolischen, sozialen und materiellen Mittel, die uns umgeben, sogar durch die Menschen selbst. Es gibt also heute schon eine Myriade von Signalen, die uns umgeben und uns Möglichkeiten eröffnen oder verweigern. [Der] Preis als ein wichtiges Hinweismittel […] macht Entscheidungen nicht nur einfach, sondern sogar zu einfach (Herv.S.H.). Eine Gesellschaft ist heute eine Kooperation von Milliarden von Menschen, alle mit unterschiedlichen Bedürfnissen, und somit gibt es notwendig Konflikte. Markt ist die dominante Form, um diese Konflikte zu lösen. Doch die Preishinweise des Marktes lassen nur reduzierte Entscheidungen zu – Wie kann ich Kosten sparen? Wo mache ich mehr Profit? …
Wollen wir menschliche Bedürfnisse in ihrer Komplexität koordinieren, brauchen wir komplexere Signale (Herv. S.H.) – diese müssen so aufbereitet und zur Verfügung gestellt sein, dass sie menschliche Entscheidungen zwar komplex machen, die Menschen aber nicht überfordern.
Hier ist die Nachdenk- und Gestaltungsaufgabe bestens formuliert. Weiter geht es mit dem Kulturwissenschaftler und Autor Christian Schüle, der sich mit dem politisch brisanten Heimatbegriff auseinandersetzt und meint: Commons sind Gestalter lokaler Identitäten. Schüles Diagnose:
Hängt man keinem rechtsnationalen Heimatverständnis an, das auf dem Glauben an „Blut und Boden“ basiert, sondern betrachtet Heimat als einen dynamischen kulturellen Prozess, bei dem es vor allem um ein Gefühl von Vertrautheit und Vertrauen geht, dann liefert das stark wachsende Commons-Netzwerk dafür einen wertvollen Beitrag. Es geht den Commonisten weder um plumpe Heimattümelei noch um Kommunardentum im Sinne eines ideologischen Sozialismus, sondern um konkretes gemeinschaftliches Tun in mikrosozialen Gemeinschaften. Da werden keine geschlossenen Ideologien und Weltbilder propagiert, es wird nicht fragmentiert, nicht abgegrenzt und nicht ausgegrenzt. Stattdessen steht das Wir im Mittelpunkt, die Begegnung, die gegenseitige Wertschätzung, das Miteinander. ….
Ganz so mikrosozial, wie Schüle das beschreibt, finde ich ja das commoning keineswegs, aber insgesamt kann ich mich der Darstellung von Christian Schüle gut anschließen, auch deshalb, weil er den Begriff des Brauchtums so wunderbar entstaubt und die „Wertschätzungsproduktion“ in der Commons-Ökonomie unterstreicht indem er hervorhebt, dass jegliches Produzieren von Sinnstiftung begleitet sein muss.
Das Werden, der Vorgang der Fabrikation, der Prozess der Herstellung erhalten einen weit höheren Stellenwert als das bereits hergestellte, verkaufbare und nach Gebrauch zu entsorgende Gut. Je größer Mitspracherecht und Eigenverantwortung des Einzelnen, desto höher seine Motivation und Identifikation. Jeder hat dann Verantwortung; und aus Verantwortung entsteht Vertrauen, aus Vertrauen entsteht Geborgenheit, aus Geborgenheit schließlich Heimat. Das Brauchen und Gebrauchtwerden – das „Brauchtum“ sozusagen – bilden einen sozialen Kitt. Und daraus entwickelt sich auch ein realer Gewinn, allerdings nicht in Form von mehr Geld, sondern von mehr Lebensqualität.
Dass Sinnstiftung und Sinnlichkeit zusammengehören, beschreibt auch Christa Müller. Commoning bedeute, so Müller, sinnliche Erfahrungen [zu] ermöglichen. Das ist umso dringlicher, je mehr die
„gesellschaftlichen Tendenzen zur Virtualisierung mit den Folgen eines zunehmenden Abgeschnittenseins von sinnlichen bzw. haptischen Erfahrungen im Alltag und der fehlenden Möglichkeiten des Selbergestaltenkönnens … mit der intensivierten Digitalisierung eher mehr denn weniger als Sinnverlust wahrgenommen [werden].
Unter den Interviews finden sich jeweils aktuelle Buchtipps. Zusammengenommen ergeben sie eine stattliche aktuelle kleine Commons-Bibliothek.
Weitere Texte: Den sehr lesenswerten Eröffnungsbeitrag dieses Schwerpunktes zum Boom gemeinschaftlichen Bauens von Günther Hartmann, der auch das Heft konzipierte und die Interviews führte. Hartmann beschreibt gekonnt (und beispielhaft) den aktuellen Irrsinn auf dem Münchner Wohnungsmarkt, das Funktionieren von Baugenossenschaften und Baugruppen und wie die Kommunalpolitik selbige unterstützen kann und das auch tut.
Auf der Grundlage eines Stadtratsbeschlusses vergibt die Stadt München 40% ihrer Grundstücke an Baugemeinschaften und Baugenossenschaften: rund 10% an Baugemeinschaften und rund 30% an Baugenossenschaften. Zudem verkauft sie ihre Grundstücke nicht an die schnellsten oder meistbietenden Interessenten, sondern an diejenigen mit dem besten Konzept. … Doch wer 40% seiner Grundstücke an Baugemeinschaften und Baugenossenschaften verkaufen möchte, der sollte auch dafür sorgen, dass es davon genügend gibt. Deshalb unterstützt die Stadt München deren Gründung über ihre im Herbst 2014 gegründete „Mitbauzentrale“. Die berät Interessenten kostenfrei und begleitet sie mit profundem Fachwissen. Zudem betreibt sie eine große Projektbörse. Dies führte bislang zu 14 Neugründungen von Baugenossenschaften. Und 5 weitere stehen aktuell vor ihrer Gründung. Zum Vergleich: Als die „Mitbauzentrale“ ihre Arbeit aufnahm, lag in München die letzte Gründung einer Baugenossenschaft bereits über ein Jahrzehnt zurück.
Aufschlussreich ist auch, warum Baugenossenschaften den Baugruppen i.d.R. vorgezogen werden und was mit den „alten Baugenossenschaften“ los ist, die schon lange nicht mehr bauen, sondern nur noch Wohnraum verwalten. Wer Hartmanns Beitrag liest, wird nachvollziehen können, wie dringlich Muster des Commoning sind, also handlungsorientierendes Lösungswissen, das Commoning einfacher macht und beim Einüben hilft.
Weiters gibt es eine vergnügliche Beschreibung des Sojaanbaus und der Tofuproduktion im Reallabor nicht in China, sondern vor unseren Haustüren und einen Bericht über commonsorientierte Aktivitäten in der Stadt Mainburg.
Ich wünsche dem Heft viele Leser*innen.